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Interview mit Citylogistiker Prof. Dr. Christian Kille

Die Branche ist in Aufruhr seit Edeka, Rewe, Lidl und Aldi mit Amazon Fresh einen finanz- und technikstarken Wettbewerber im Onlinehandel mit Lebensmitteln bekommen haben. Wie kann die Antwortstrategie des einzelnen Händlers aussehen? Fragen an den Citylogistiker Christian Kille.

Christian Kille
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Von Martina Kausch | Fotos: Heike Rhode

Herr Kille, bestellt der Kunde der Zukunft seine Lebensmittel online und lässt sie nach Hause oder ins Büro liefern - und Vollsortimenter sind dann überflüssig?

Kille: Es kommt darauf an, wo der Kunde der Zukunft lebt und ob er einen „intelligenten“ smarten Kühlschrank hat. Der gibt dem Lieferanten und Händler direkt die Information , wieviel Milch, Butter und Pasta nachgeliefert werden muss, um einen vom Kunden festgesetzten Mindestbestand wiederherzustellen…. Aber das ist Zukunftsmusik und vielleicht in dreißig Jahren möglich… nein, Vollsortimenter wird es natürlich sicher weiterhin geben, aber Händler müssen sich mit dem neuen Vertriebsweg auseinandersetzen, sachlich, ohne Hysterie.

Aber man kann Amazon Fresh doch als Bedrohung wahrnehmen?

Kille: Der Lebensmittel-Online-Handel ist zunächst einmal ein neuer Distributionskanal . Dieser Kanal wird durch Amazon Fresh stark bedient. Und dadurch, dass Amazon eine große Finanzkraft hat, nehmen wir diesen neuen Kanal wahr. Lebensmitteleinzelhändler sollten sich darauf einstellen und entscheiden: ich mache bei dem neuen Distributionsweg mit – oder nicht.

Haben sie die Wahl?

Kille: Wenn man bei dem neuen Weg nicht mitmacht, wird man Umsatzverluste im Markt hinnehmen und sich überlegen müssen, wie man die auffängt. Andererseits kostet der Onlinehandel Geld. Wer die ehrliche Vollkostenrechnung macht, wird sehen: Kein Online-Händler verdient zurzeit Geld. Es ist eine Serviceleistung für den Kunden und ein Instrument der Kundenbindung. In Zahlen ausgedrückt: von den knapp 53 Milliarden Euro E-Commerce- Umsatz 2016 entfallen 932 Millionen auf Lebensmittel – das sind 1,8 Prozent!

Forschungs- und Entwicklung in der Logistik und Digitalisierung kosten außerdem Geld. Investieren deutsche Handelsketten in Forschung in diesen Bereichen?

Kille: Darüber gibt es von Rewe oder Edeka leider keine verlässlichen Zahlen. Amazon investiert 13 Prozent des Umsatzes in die Forschung, DHL drei Prozent, Volkswagen sechs Prozent.

Wo ist eine effiziente Lieferung möglich?

Kille: Gute Chancen auf Rentabilität gib es nur, wenn man genügend Kunden hat, die nahe beieinander wohnen, sodass sich die Logistik bezahlt macht. Die Logistik von Amazon Fresh befindet sich mitten in den Städten. Citylogistik wächst und benötigt zusätzlichen Lagerraum in den Stadtgebieten. Das bedeutet neue Herausforderungen für die Infrastruktur. Im ländlichen Raum ist die Logistik viel schwieriger, hier wird der Umsatz sinken. Aktuell konsolidiert sich Amazon Fresh, beispielsweise in den ländlichen Regionen der Staaten New York, New Jersey, Connecticut, Massachusetts, aber auch Maryland und Kalifornien wird das System eingestellt. Kaufland hat sein Lebensmittel-Lieferservice-Pilotprojekt in Berlin kurz vor Weihnachten beendet.

Sinkenden Umsatz kann kein Händler hinnehmen, wo ist die Lösung?

Kille: Der Händler muss andere Wege finden, den Umsatz zu steigern oder die Kosten zu senken. Eine Lösung ist, ein besonderes Einkaufserlebnis vor Ort zu schaffen. Hier in Würzburg gibt es den Generationenmarkt Trabold, der bewusst auf spezielle Bedürfnisse aller Altersgruppen Rücksicht nimmt: breite Gänge, Blindenschrift, Kleingrößen für Single- Haushalte. Ich muss als Händler heute mein Geschäft anders führen. Wenn der Onlinehandel zunimmt, muss ich eventuell Kosten reduzieren oder den Umsatz pro Kunde erhöhen. Kundenneugewinnung ist auch wichtig. Es gibt schon lange Konzepte, in denen Post oder Bankdienstleistungen in Supermärkte integriert sind. Wir haben in Deutschland eine extrem hohe Supermarkt-Dichte. Wenn die Verstädterung weiter zunimmt, lohnen sich Märkte auf dem Land ohne Zusatzservice tendenziell nicht mehr.

Welche Möglichkeiten bietet die Logistik, um - im Stadtbereich – möglichst kosteneffizient zu liefern?

Kille: „Gadgets“ sind eine Möglichkeit der Individualisierung bei der Lieferung. Sie können entweder den Service individuell gestalten (schneller, genauer o.ä.). Oder Sie können bereits im Vorfeld die Produkte selbst individualisieren. Hier bietet der 3D-Druck-Potenziale. Einfache Artikel sind heute schon herstellbar, komplexere in naher Zukunft auch schon kostengünstiger als heute. So können Sie zu einem Getränkekasten gleich die Kühlung hinzugeben. Damit Sie nicht zu viel auf Lager haben und dann jedem Kunden das gleiche zukommen lassen, drucken Sie das individuell aus - ganz spezifisch auf den Kunden ausgerichtet, was er wahrscheinlich benötigt (die Daten haben Sie ja :-). Das ist natürlich noch Zukunftsmusik, aber man kann schon mal durchdenken, was für Möglichkeiten es gibt. Laut Bevölkerungsstatistik bleiben ja immer mehr ältere Menschen auf dem Land zurück. Auf ihre Bedürfnisse gehen nur wenige Vollsortimenter ein. Ja. Die Versorgung älterer Menschen auf dem Land muss sichergestellt sein – und rentabel. In Viken, Schweden gibt es einen Laden ohne Personal, nur Kameras beobachten die Kunden und die Regale. Das Geschäft liegt auf dem Land, offensichtlich baut man dort auf die Ehrlichkeit der Kunden.

Welche Methoden können Sie als Wissenschaftler dem Einzelhändler an die Hand geben, um sein Geschäft für die Zukunft zu rüsten?

Kille: Stichwort Big Data: Je mehr Informationen man über seine Kunden hat, desto besser ist es für’s Geschäft. Nun haben wir in Deutschland datenschutztechnisch enge Grenzen: Man darf nicht Bezahldaten und Einkäufe mit Adressen speichern und weiterverarbeiten, also identifizierbar zentral sammeln und dem Filialisten zur Verfügung stellen. Sinnvoll ist aber für jeden Händler und jede einzelne Filiale eine genaue Analyse: Mache ich einen Genusstempel aus dem Supermarkt oder biete ich mehr Dienstleistungen an, oder möchten die Kunden ein Restaurant ? Hier können wir als Hochschule Unterstützung liefern. Ich kenne Projekte in dieser Richtung: Studenten befragen die Kunden, beobachten und analysieren die Weg der Kunden durch den Markt. Diese Daten liefern wichtige Informationen über die Kundenstruktur und Bedürfnisse.

Es sind also gute Zeiten für Logistiker?

Kille: Ja, traumhafte Zeiten! Die Logistik wird leicht unterschätzt, sowohl was die Kostenrelevanz als auch die Möglichkeiten betrifft. Wenn ein Mitarbeiter eine Ware im Lager lange sucht, berechnen Sie ehrlich die Personalkosten gegen den Umsatz! Ich arbeite gerne daran, die Wichtigkeit der Logistik ins Bewusstsein zu rücken, denn unser Image wandelt sich. Wie hat es ein Kollege formuliert: vom Schmuddelkind zum Möglichmacher.

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